Am 12. Juni 1866 wurde Alwin Brandes in Großschönau geboren. In der Weimarer Republik war der Oberlausitzer „einer der mächtigsten Gewerkschaftsführer der Welt“ (Dr. Stefan Heinz) & gehörte kurze Zeit später zu den bedeutendsten gewerkschaftlichen Widerstandskämpfern gegen das NS-Regime.
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Die Braunkohle & die Lausitz. Keine andere Industrie hinterlässt so tiefgreifende Spuren, wie die der Kohlegewinnung. Aufschwung, Arbeit, Verlust, Sorge, Chancen – das alles verbinden die Menschen mit den Revieren am östlichen Rand der Republik. Es war uns deswegen wichtig, ein Zeugnis jener Zeit auf ein LABA-Textil zu bringen.
1940 wurde die Zeichnung „Kohlenaufgabewagen mit Walzenbrechwerk“ (KAW) im Maßstab 1:10 von der Maschinenfabrik Buckau R. Wolf in Magdeburg für das Kraftwerk Hirschfelde (bei Zittau) angefertigt. Dieser KAW diente, laut Aussage des Deutschen Bergbau-Museums Bochum, wohl zur Aufbereitung der Braunkohle bzw. deren Zerkleinerung. Konkret: „Der Kohlenaufgabewagen mit Walzenbrechwerk dürfte im Kraftwerk Hirschfelde zur Beschickung der Kohlebunker mit vorzerkleinerter Kohle eingesetzt worden sein“, so Prof. Lieberwirth, von der TU Freiberg.
Ob dieser Wagen tatsächlich je in Betrieb war, lässt sich aus den Archivakten & den geführten Gesprächen nicht entnehmen.
Das Kraftwerk in Hirschfelde zählte zu den Großkraftwerken in Sachsen. Von 1911 bis 1992 lieferte die Anlage 71.300.000 MWh Strom. Die Braunkohle, die vermutlich auch durch den KAW bearbeitet wurde, stammte u.a. aus den Tagebauen Turów, Olbersdorf & Berzdorf (b. Görlitz). 1992 wurde das Kraftwerk aus wirtschaftlichen Gründen stillgelegt.
Heute kümmert sich die Stiftung Kraftwerk Hirschfelde um das industriegeschichtliche Erbe des Energiestandorts Hirschfelde. Das Archiv der Stiftung war es auch, die uns den Zugang zu der Technischen Zeichnung ermöglichte.
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Zugegeben, wir hatten Bauchschmerzen bei der Verwendung dieses KAW-Motivs. Denn: Die Zeichnung wurde 1940 von einer Deutschen Maschinenfabrik während des Nationalsozialismus erstellt – also eben jener Zeit, in der mit ziemlicher Sicherheit Zwangsarbeiterinnen & Zwangsarbeiter für die Produktion eingesetzt & ausgebeutet wurden. Viele Unternehmen machten sich dabei zum Handlanger dieses NS-Terrorsystems. So auch die Magdeburger Firma Buckau R. Wolf.
„Viele der Zwangsarbeiter kamen aufgrund der schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen ums Leben. Die Arbeitszeiten der ausländischen aber auch der deutschen Arbeiter umfassten wöchentlich 60 Arbeitsstunden. (…) Im Juli 1944 arbeiteten 5827 Menschen in den Stammbetrieben des Unternehmens. Davon waren 1442 Kriegsgefangene und 967 ausländische Zwangsarbeiter.“
Wikipedia-Artikel zur Maschinenfabrik Buckau R. Wolf
Mit der Verwendung des KAW wollen wir die Aufmerksamkeit auf Schicksale eben jener Menschen richten, die versklavt & umgebracht wurden. Einige dieser Menschen leisteten nicht nur Zwangsarbeit, nein, sie leisteten aktiv Widerstand gegen das System der lebensbedrohenden Ausbeutung.
„Trotz Repression, Denunziation, Orientierungslosigkeit und der verheerenden Lebensbedingungen in der besetzten und ausgeplünderten Heimat versuchten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter immer wieder zu fliehen; auch gab es Ansätze zu Widerstand und Sabotage.“
zwangsarbeit-archiv.de
„Als Sabotage wurde im NS alles gewertet, was die Arbeitsproduktivität gefährdete: die sog. ‚Bummelei‘ (also angeblich absichtliches langsames Arbeiten); auch gab es gezielte Zerstörung von Maschinen oder Material. Als Sabotage galten auch einfache Bedienungsfehler aus Erschöpfung oder Unwissenheit (z.B. wenn beim Säubern oder Wechseln ein Bohrer brach). Andere verweigerten bewusst die Arbeit (privater Streik). Häufiges Kranksein werteten die Nazis auch als Sabotage, genauso ein Streit mit dem Vorarbeiter oder Meister.
Zeitzeuginnen und Zeitzeugen berichten, dass sie die Maschinen, an denen sie arbeiteten anhielten, wenn niemand zugeschaut hat; sie stanzten Bleche z.B. für Patronenhülsen an der falschen Stelle; produzierten absichtlich Ausschuss; andere befüllten die Munition für Waffen nicht richtig oder zerstörten/manipulierten den Zünder, damit diese nicht explodieren konnten; Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter sortierten bei der Kontrolle von Material am Fließband nicht nur Ausschussware aus, sondern auch gute Ware.“
Iris Hax, Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit
„Mit Protest und Regelverstoß, Flucht und Sabotage versuchten viele der zur Arbeit für den Feind Verschleppten, diesem Feind zu schaden und ihre eigene Würde zu bewahren. Trotz ihrer großen Zahl konnten die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter das nationalsozialistische Regime zu keiner Zeit ernsthaft bedrohen – der ausländische war letztlich ebenso machtlos wie der deutsche Widerstand.
Für die Akteure selbst waren auch kleine Akte der Selbstbehauptung eine wichtige Hilfe zum Überleben.“
Dr. Cord Pagenstecher
Nach unseren Recherchen im Landesarchiv Sachsen-Anhalt, haben sich explizit im Magdeburger Werk Buckau R. Wolf, in der die KAW-Zeichnung angefertigt wurde, keine Widerstandshandlungen / Sabotageakte ereignet.
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Als Alwin Brandes Großschönau mit seinen Eltern verließ, gab es im nahegelegen Hirschfelde noch kein Großkraftwerk. Und auch der NS-Staat war noch rund 70 Jahre entfernt. Was es allerdings in Magdeburg – seiner neue Heimat – zahlreich gab: Metallbaubetriebe, denen der gelernte Schlosser & Maschinenbauer seine Arbeitskraft anbieten konnte. Ob die Firma Buckau R. Wolf auch darunter war, kann nicht ausgeschlossen werden. In jedem Falle aber, lernten die Wolf-Arbeiter Alwin Brandes bald sehr gut kennen & – aufgrund seiner Gewerkschaftsarbeit – schätzen.
Im Jahr 1890 trat Brandes der SPD und 1894 dem Deutschen Metallarbeiterverband (DMV) bei. 1900 wurde der markante Gewerkschafter Geschäftsführer des DMV in Magdeburg & 1912 erstmals als Abgeordneter in den Reichstag gewählt. 1917 wurde er Mitglied der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) & im Oktober 1919 zu einem der drei Vorsitzenden des DMV gewählt. Zu dieser Zeit zählte die Gewerkschaft 500.000 Mitglieder und war so die größte Einzelgewerkschaft der Welt. Ab 1926 bekleidete Brandes das Amt des DMV-Vorsitzenden defacto alleinig – und so war der gebürtige Oberländer, der sich vehement für die Demokratische Mitbestimmung der Beschäftigten, die Überführung der Schlüsselindustrien in Gemeineigentum & die Einführung der Arbeitslosenversicherung (1927) einsetzte, einer der mächtigsten Gewerkschafter dieses Planeten.
Der DMV wurde am 2. Mai 1933 von den Nationalsozialisten zerschlagen. Brandes war seit dieser Zeit Kopf der DMV-Widerstandsgruppe (1933 bis 36) – ein Netzwerk, mit über 800 ehemaligen Gewerkschaftern im Deutschen Reich – sowie Mitglied der „Illegalen Reichsleitung“ der Gewerkschaften.
Brandes organisierte die internationale Vernetzung mit anderen Arbeitervertretungen, erstellte Berichte über Korruption / Unterschlagungen in den Betrieben, sammelte Informationen über Kriegsvorbereitung des NS-Staats, verbreitete verbotene Literatur & sammelte schließlich Geld für Familien inhaftierter Gewerkschafter.
1935 wurde er in das KZ Sachsenburg überstellt & blieb bis 1937 in Schutzhaft. Auch die Zeit nach seiner Haft nutzte der Sozialdemokrat für die Aufrechterhaltung des gewerkschaftlichen Widerstands. So entstand u.a. der Kontakt zu Wilhelm Leuschner, & somit zu der Gruppe, die das Attentat am 20. Juli 1944 auf Adolf Hitler plante & durchführte. Nach dem Umsturz des NS-Regimes, sollte Brandes Ehrenvorsitzender der „deutschen Einheitsgewerkschaft“ werden. Dazu kam es nicht.
Brandes überlebte die Nazi-Diktatur und lebte bis zu seinem Tode in Ost-Berlin. In seinen letzten Lebensjahren versuchte der geradlinige Oberlausitzer in der SBZ/DDR eine Metallgewerkschaft neben der durch die SED kontrollierten Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) zu etablieren.
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Mit dem Kohleaufgabenwagen wollen wir nicht nur das Licht auf die Lausitzer Kohle & ihre Industriekultur drehen. Wollen nicht nur auf den Politiker & Gewerkschafter Alwin Brandes aufmerksam machen, der im Textildorf Großschönau geboren wurde.
Wir wollen diesen KAW mit dem Gedenken an all jene aufladen, die sich, trotz größter Gefahr für Leib & Leben, gegen den Nazi-Terror stellten. Im Persönlichen, wie auch im größtmöglich politischen Kontext. Eben jenen standhaften Menschen ist der KAW gewidmet.
IN GEDENKEN AN DIE MENSCHEN,
DIE WIDERSTAND GEGEN DEN NATIONALSOZIALISMUS LEISTETEN
Wir möchten uns herzlich bei allen Personen bedanken, die uns bei dem KAW-Projekt geholfen & ermutigt haben. Hier möchten wir nennen: Anja Nixdorf-Munkwitz, Dr. Stefan Heinz, Dr. Cord Pagenstecher, Iris Hax, Dr. Stefan Siemer, Dirk Storm & Daniel Breutmann. Danke an die Stiftung Kraftwerk Hirschfelde, Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit, Friedrich-Ebert-Stiftung, Stadtarchiv Magdeburg, Landesarchiv Sachsen-Anhalt & goerlitz21 e.V.
Quellen:
Siegfried Mielke, Stefan Heinz: Alwin Brandes (1866–1949) : Oppositioneller, Reformer, Widerstandskämpfer. Metropol Verlag, 2019
Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit: Alltag Zwangsarbeit 1938-1945. 2016
Hans Coppi & Stefan Heinz (Hrsg.): Der vergessene Widerstand der Arbeiter : Gewerkschafter, Kommunisten, Sozialdemokraten, Trotzkisten, Anarchisten und Zwangsarbeiter. Karl Dietz Verlag, 2011
Siegfried Mielke, Günter Morsch (Hrsg.): „Seid wachsam, dass über Deutschland nie wieder die Nacht hereinbricht.“ : Gewerkschafter in Konzentrationslagern 1933 – 1945. Metropol Verlag, 2011
Links:
https://www.industrie-geschichte-lausitz.de/
https://kraftwerk-hirschfelde.de/
https://www.ns-zwangsarbeit.de/
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